Nachkriegsarchitektur in Nordrhein-Westfalen

 

Das Rathaus in Castrop-Rauxel

Text: Mathias Nowak
Fotografien: Alexandra Klei und Mathias Nowak

Der Architekt

Arne Jacobsen, geboren 1902 in Kopenhagen, studierte von 1924-28 an der Königlichen Akademie der Künste bei Kay Fisker, Kay Gottlob und Ivan Bensten und absolvierte Studienaufenthalte in Frankreich und Deutschland. Während seines Studiums begann er bereits mit ersten Entwürfen im Bereich Möbeldesign, in dem er später sehr erfolgreich war. Ein Beispiel dafür ist ein 1925 entworfener Stuhl, der auf der Pariser Ausstellung L'Art décoratif mit einer Silbermedaille ausgezeichnet wurde. 1927 beendete er sein Abschlussexamen an der Akademie und begann im selben Jahr mit den Arbeiten an seinem ersten Entwurf, einer Villa für Professor Wandel. Bis zu seinem Tod 1971 folgten über die Jahrzehnte viele weitere Bauten und Designentwürfe, wie zum Beispiel die 1931 errichtete Villa für den Richter Ortrup oder der Europaplatz in Castrop-Rauxel 1966, der erst nach Jacobs Tod 1971 vollendet wurde.

Europaplatz Castrop-Rauxel

1966 beschloss die Verwaltung, dem Ort ein neues gemeinsames Zentrum zu geben, das durch die Verbindung von Verwaltung, Kultur und Sport als zentraler Anziehungspunkt für die Einwohner der unterschiedlichen Stadtteile in der neu strukturierten Stadt Castrop-Rauxel, fungieren und das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit der einzelnen Kommunen fördern sollte. Um verschiedene Vorschläge zur Planung einzuholen, schrieb die Stadtverwaltung im gleichen Jahr einen beschränkten Wettbewerb aus, aus dem der Entwurf der dänischen Architekten Arne Jacobsen und Otto Weitling als Sieger hervorging. Der von ihnen geplante Komplex aus Gebäuden lag auf einem erhöhten Platz, dem Forum. Der Bau wurde dann jedoch aufgrund von Differenzen mit Jacobsen ausgesetzt, und erst nach dessen Tod 1971 von Otto Weitling in Zusammenarbeit mit Hans Dissing vollendet. Die Anlage besteht aus dem heutigen Europaplatz und aus drei Gebäuden: Auf der Südseite liegen die Stadt- und die Europahalle. Beiden haben auffallende geschwungene Hängedächer. Auf der Nordseite befindet sich der dominante Rathauskomplex, dessen vorgesetzter Ratssaal ebenfalls mit einem Hängedach versehen ist.

Europa und Stadthalle

Europa- und Stadthalle sind Mehrzweckhallen und bestehen je aus einem großen vorgelagerten und zum Platz ausgerichteten Hallenbau, sowie einem kleineren zur Straße gerichteten und mit Backstein verkleidetem Verwaltungsgebäude (Abb. 1). Beide Hallen verfügen über Glasfassaden in der Front und an den Seiten, sowie über je ein aus vorgefertigten Betonelementen bestehendes, geschwungenes und zum Platz abfallendes Hängedach. Diese sind jeweils an Drahtseilen aufgehängt, welche an den schmalen Betonpfeilern befestigt sind, die die Fassade der Vorder- und Rückseite unterbrechen.

Im Inneren zeichnet sich die geplante Multifunktionalität der Europa- und Stadthalle durch variable Bühnengrößen, verschiebbare Wände und in der Höhe verstellbare Böden aus. Auf diese Weise können die Innenräume an die verschiedenen Events angepasst werden und bis zu 2.800 bzw. 1.000 Gäste Platz finden.

Das Rathaus

Das Rathaus besteht aus zwei Bereichen: dem genannten Ratssaal mit seiner dreiseitigen Glasfassade und einem auf der Vorder- und Rückseite des Saals ebenfalls an Betonpfeilern befestigten und zum Platz abfallenden Hängedach, sowie einem gleichförmigen, 250 Meter langen Riegelbau mit fünf Etagen und einem Flachdach für die Verwaltung (Abb. 2), welcher zur der den Platz begrenzenden Straße ausgerichtet ist. Beide bestehen aus vorgefertigten Betonpfeilern, für den Verwaltungsbau sind sie Innen wie Außen jedoch mit Backsteinen verkleidet. An fünf Stellen ist seine Fassade durch eine Glasfläche aufgebrochen. Dahinter befinden sich Treppenhäuser; gleichzeitig wird das Gebäude so in vier Bereiche für unterschiedliche Funktionen innerhalb der Verwaltung gegliedert. Dem Riegel vorgelagert und zum Platz ausgerichtet sind ein Laubengang sowie eine Bepflanzung, welche die Freifläche lebendiger gestalten soll (Abb. 3). Im Inneren gibt es auf jeder Etage einen zentralen Gang (Abb. 4), der die vier Bereiche miteinander verbindet. Links und rechts befinden sich die Büros. Im Erdgeschoss liegen zur Nordfassade - das heißt zur Straße - ausgerichtet Versammlungs- und Konferenzräume. An die Südfassade schließt der Ratssaal an, der über zwei Ebenen verfügt: den Sitzungsraum für die Abgeordneten im Untergeschoss (Abb. 5) und den sowohl über eine Treppe als auch von außen, über einen großzügigen Vorraum (Abb. 6) begehbaren Zuschauerbereich im Erdgeschoss.

Innenausstattung

Trotz Differenzen bei der Errichtung des Komplexes sind in dem Gebäude und in seiner Inneneinrichtung die Vorstellungen sowie die Design- und Architektursprache von Arne Jacobsen nach wie vor nachvollziehbar. So sind die Treppenhäuser im Verwaltungsbau mit ihrer Glasfassade und den gläsernen Geländern (Abb. 7), als auch die großen Türen der Hauptflure, welche für jedes Geschoss eine eigene Farbe haben, unverändert, ebenso Tische, Lampen und Uhren (Abb. 8), aber auch der im Treppenhaus und im Erdgeschoss als Bodenbelag verwendete schwarze Naturschiefer, blieb, trotz seiner hohen Empfindlichkeit, erhalten (Abb. 4). Ebenso original vorhanden ist die Innengestaltung des Ratssaales mit einer Holzverkleidung, die durch ihre Maserung eine Art Muster erzeugen, welches an Stalaktiten und Stalagmiten erinnert (Abb. 5), mit dem originalen Teppich sowie mit den Sitzpolstern mit Kalbslederbezug im Zuschauerbereich (Abb. 9). Ein Problem hier sind allerdings die aktuellen Brandschutzvorschriften, aufgrund derer dieser nunmehr für das Publikum gesperrt ist.

Fazit

Als Fazit lässt sich einerseits sagen, dass der Europaplatz und seine Gebäude ein elegantes Ensemble sind, das erkennbar die klare Handschrift des Funktionalisten Arne Jakobson trägt. Allerdings ist die angedachte Funktion als neues Zentrums für die Stadt Castrop-Rauxel, in dem Verwaltung, Kultur und Sport vereint sein sollen, nie gewahr worden. Das führte unter anderem dazu, dass die zunächst angedachte Nutzung "Sport" aufgegeben wurde und die dafür vorgesehene Europahalle zu einem Kongresszentrum umfunktioniert wurde. Insgesamt ist der Komplex jedoch ein Wahrzeichen der Stadt, welches zu Recht heute unter Denkmalschutz steht.

 

Literatur

Karl Hartung: Castrop-Rauxel. Entwicklung einer Stadt im westfälischen Industriegebiet. Castrop-Rauxel 1967.

Oliver Karnau: Experimentelle Architektur und Selbstdarstellung. In: Markus Hartenetter, Walter Hauser, Udo Mainzer, Dirk Zache (Hg.): Fremde Impulse-Baudenkmale im Ruhrgebiet. Münster 2010, S.88-91.

Johan Pedersen: Arkitekten Arne Jacobsen. Kobenhavn 1954.

Wolfgang Pehnt: Deutsche Architektur seit 1900. München 2006.

Carsten Thau: Arne Jacobsen. Copenhagen 2001.

o.A.: Neue Dachformen im Rhurgebiet. Im Internet unter: http://www.lwl.org/LWL/Kultur/fremde-impulse/die_impulse/Impuls-Mutiges-Bauen-Kunst-am-Bau/Rathaus-Europahalle-Castro-Rauxel, gesehen am 30.7.2013.

Red.: Forum und Rathaus Castrop-Rauxel. Im Internet unter: http://www.baukunst-nrw.de/objekte/Forum-und-Rathaus-Castrop-Rauxel--281.htm, gesehen am 30.7.2013.

Forum Castrop-Rauxel. Im Internet unter: http://www.forum-cr.de/, gesehen am 17.8.2013.