Nachkriegsarchitektur in Nordrhein-Westfalen

 

Das Rathaus in Bensberg, Bergisch Gladbach

Text: Nicole Stolz, Iliana Panagiotidou und Jan Willuweit
Fotografien: Iliana Panagiotidou, Jan Willuweit und Nicole Stolz

Zeitliche Einordnung

Die Architekten nach 1945 fühlten sich vor eine schwierige Aufgabe gestellt. Sie mussten nach den Zerstörungenim Zweiten Weltkrieg neue Häuser schaffen. Nach Wolfgang Vomm war Architektur in dieser Situation zunächst weniger eine Frage der Ästhetik als in erster Linie eine Aufgabe der Lebensunterhaltung (Vomm, 1995, S. 5).Unter anderem musste in kürzester Zeit viel Wohnraum zu günstigen Preisen errichtet werden. Mit der Zeit entwickelte sich aus dieser Aufgabe aber unter anderem die Idee vom Bauen als Findung bzw. Erneuerung sinnfälliger Zeichen in einer aus den Fugen geratenen Welt. Neue Wahrzeichen sollten geschaffen werden, auch, um den Menschen Hoffnung zu geben. Zu den in dieser Zeit tätigen Architekten gehörte Gottfried Böhm, der allein in Bergisch Gladbach in nur 20 Jahren vier bedeutende Bauten realisierte, die zu einem internationalen Ruf gelangten. Bergisch Gladbach ist so zudem nach Köln die Stadt mit den meisten von Böhm errichteten Bauwerken und wurde für Architekten und Architekturbegeisterte seit Mitte der 1960er Jahre zu einem Besichtigungsziel. Bis heute erfreut sich die Stadt an dem enthusiastischen Zustrom von Besuchern.

Geschichtlicher Kontext Bensbergs

Ein erster Quellenbeleg über Bensberg stammt aus dem Jahr 1138/39 und bezeugt, das die Burg, die das Fundament des heutigen Rathauses bildet, im 12. Jahrhundert von dem Graf von Berg erbaut wurde. Es handelte sich hierbei um eine Ringburg mit ovalem Grundriss, weshalb man vermutet, dass die Anlage im frühstaufischen Stil errichtet wurde. Die Burg liegt auf einem nach Norden hin ansteigenden Hügelrücken im Zentrum der Stadt. Sie wurde mehrmals neu aufgebaut und renoviert, jedoch nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) dem Verfall überlassen. Circa 200 Jahre später wurde das Gebäude zunächst als Kloster, ab 1897 bis in die 1950er Jahre dann als katholisches Krankenhaus genutzt. Anschließend stand es leer.

Bevor das neue Rathaus fertiggestellt werden konnte, waren der Rat und die Verwaltung getrennt, letztere war an bis zu fünf verschiedenen Orten angesiedelt. Aber auch aufgrund von Raumnot wurdeein Neubau dringend notwendig. Zudem wuchs die Einwohnerzahl der Stadt rasant, da Bergisch Gladbach mit günstigem Wohnraum und nahe an Köln gelegen, ideal für Pendler war und ist. Allerdings war die Stadt nach der Einweihung des Rathauses im Jahr 1971 nur noch für vier weitere Jahre eigenständig.

Das neue Rathaus, auch die neue Bürgerburg genannt, war das Zentrum der Stadt; ein Umstand, der durch die örtliche Topographie zusätzlich unterstützt wurde. Der Neubau aus Glas, Beton und Stahl veränderte jedoch das Stadtbild von einem pittoresken Altstadtcharme hin zu einer kontrastierenden Verbindung aus traditionellen Fachwerkhäusern und modernem Betonkoloss.

Baugeschichte

1959 begann die Stadt die Planungen und Rücklagen für die Finanzierung eines Rathausneubaus vorzubereiten. Sie erwarb das Grundstück der Burg im Jahr 1961 und versandte im April 1962 die Ausschreibungstexte des Wettbewerbs an mehrere Architekten. Das Raumprogramm umfasste Platz für alle zur Verwaltung gehörigen Ämter, für den Rat der Stadt und für eine Hausmeisterwohnung. Es sollte ein Gebäude entstehen, das geeignet für die ferne Zukunft, passend in die Gegenwart und harmonisch verbunden mit einem ehrwürdigen Baudenkmal der Bensberger Vergangenheit ist (Müller-Frank, 1968, S.28).

Der Rathausneubau sollte dabei in zwei Bauabschnitten konzipiert werden:
1. Bauabschnitt: auf 40.000 Einwohner ausgerichtet
2. Bauabschnitt: Vergrößerung auf 80.000 Einwohner für die Zukunft

Im Dezember 1962 wurde der Beitrag von Gottfried Böhm mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Man lobte seinen Entwurf als eine überzeugende künstlerische Antwort auf die gestellten Aufgaben. Das Preisgremium befand, dass Böhm es geschafft hat, den gegebenen Maßstab aufzunehmen und ihn weiter zu gestalten, ohne zu historisieren oder zu romantisieren. Böhm bestand bei seinem Entwurf auf eine Niederlegung des nach 1850 errichteten Teils der Burganlage. Er fand, dass dieser Teil "[so] tue als sei er alt" (Darius, 1983, S.34), lehnte sich bei seinem Entwurf allerdings eng an die Konzeption der historischen Anlage an.

1964 begannen die Abbrucharbeiten der als störend befundenen Burgteile, von 1965 bis 1967 erfolgte die Errichtung des Neubaus der Verwaltung und bereits 1967 die Einweihung des Verwaltungstrakts. Dieser war der Stadt zunächst am wichtigsten. Zwei Jahre später begann man dann mit dem Bau des Ratsaaltrakts (Abb. 1), der 1971 fertiggestellt werden konnte. Damit sollte vorerst nur der erste Bauabschnitt abgeschlossen sein; wie wir heute aber wissen, war dies der endgültige Abschluss des Vorhabens. Nach der Fusion der Städte Bensberg und Bergisch Gladbach im Jahr 1975 ist das Rathaus heute nur noch der Sitz des Stadtrates und wird als technisches Rathaus genutzt.

Das Rathaus

Von außen betrachtet wirkt das Rathaus wie eine geschlossene Einheit, mit einer hohen Ringmauer. Besonders im Bereich des Eingangs sieht man die dominanten, erhaltenen Teile der Burg (Abb. 2), den Palas mit seinen zwei- und dreibogigen Fenstern. Erst wenn man den intimen Innenhof durch die beiden Seitentürme, den Michaels- und den Engelbertturm, betritt, trifft man auf den Neubau. Böhm folgte mit seinem Entwurf dem nach Südosten verzogenen Oval und bezog den Höhenunterschied, der sich durch die Topographie ergibt, mit ein. Diese neue Bürgerburg integriert drei Türme der alten Burg und überhöht das gesamte Ensemble mit dem Haupttreppenhaus durch eine vielfach abgekantete, sich empor schiebende Bauplastik aus Sichtbeton, welche den optischen Mittelpunkt der Anlage bildet.Dieses Treppenhaus (Abb. 3), welches über den Innenhof der Anlage zu erreichen ist, und den neuen Bergfried der Bürgerburg verkörpert, wirkt expressionistisch. Die Fensterbänder mit dicken, schwarzen Rahmen der scharfkantigen, gefalteten Bürotrakte zu beiden Seiten bilden einen starken Kontrast zum Turm, dessen Fensterbänder ohne Rahmen den Eindruck erwecken, als wäre das pure Glas dem massiven Gewicht des Betons ohne Schutz ausgeliefert (Abb. 4). Im Erdgeschoss des Treppenhauses befindet sich der Haupteingang, der in eine Eingangshalle führt, von der links und rechts Flure in die beiden Gebäudeflügel abgehen. Der linke ist zum Hof hin verglast und nimmt den Ratssaal auf. Dessen Fassade ist hier ebenfalls verglast mit dem Effekt, dass die Schwere des Betons aufgebrochen scheint. Der rechte Gang wird zu beiden Seiten von Büroräumen flankiert. Sie bilden den Verwaltungstrakt, welcher dem ovalen Grundriss der alten Ringburg folgt. Immer wieder werden zwischen dem Neubau Reste der alten Burg sichtbar, was den Betrachter dazu verleiten kann, das Gebäude genauer zu erforschen. Böhm schaffte es in diesem Bau, Alt und Neu zu verbinden und dies als aufregendes Wechselspiel zu gestalten. Durch die Errichtung des Rathauses auf dem Grundriss der früheren Bensberger Burg ruft Böhm die Geschichte des Ortes immer wieder ins Gedächtnis. In der Forschung wird Böhms Bau zu den "herausragendsten Leistungen einer Alt und Neu verbindenden Architektur" gezählt (Klotz, 1984, S. 24).

 

Literatur

Darius, Veronika: Der Architekt Gottfried Böhm. Bauten der sechziger Jahre. Bonn 1983.

Klotz, Heinrich; Fischer, Volker (Hg.): Revision Der Moderne. Postmoderne Architektur 1960-1980.München 1984.

Knitter, Andrea: Die Bürgerburg. Vom Alten Schloss zum Bensberger Rathaus. In: Eßer, Albert;WolfgangVomm (Hg.): Bürgerburg und Musenvilla. Zugänge zu historischen Herschaftsbauten in Bergische Gladbach. Bergisch Gladbach 2006.

Müller-Frank, Ullrich: Das neue Rathaus der Stadt Bensberg. In: Rheinisch-Bergischer Kalender 38. Bergisch Gladbach, 1968.

o.V.: Rathaus Bensberg. In: Bauwelt, Heft 10, 1966, S. 269.

Pehnt, Wolfgang: Gottfried Böhm. Basel 1999.

Roters, Wolfgang: Nordrhein-Westfalen. 60 Jahre Architektur- und Ingenieurskunst. Gelsenkirchen 2007.

Schubert, Hannelore: Stadtplanung in Bensberg. In: Bauwelt, Heft 33, 1973, S. 1595.

Vomm, Wolfgang: Gottfried Böhm und Bergisch Gladbach. In: Raev, Svetlozar; UlrichWeisner, Gottfried Böhm(Hg.): Gottfried Böhm. Bauten im Rheinland. Bergisch Gladbach 1995.