Nachkriegsarchitektur in Nordrhein-Westfalen

 

Der Bochumer Hauptbahnhof

Text und Fotografien: Annika Stabenow

Der Hauptbahnhof in Bochum (Abb. 1), heute prominent am Kurt-Schumacher-Platz gelegen, befand sich nicht immer so zentral und übersichtlich gebündelt in der City wie der Passant ihn heute vorfindet. Die kompakte Anlage, die die Besucher der Stadt und deren Bewohner heute kennen, entstand erst durch die Stadtplanung Clemens Massenbergs. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Stadt bis zu 90 Prozent zerstört, so dass ein Wiederaufbau, beziehungsweise eine völlige Neuplanung, für die Innenstadt erforderlich war. Unter der Schirmherrschaft von Massenberg, dem Baudezernenten der Stadt, wurde schon kurz nach Kriegsende mit der Stadtplanung begonnen.

Die Planungen für einen neuen Hauptbahnhof fanden von 1950 bis 1954 statt. In den drei darauffolgenden Jahren entstand dann nach dem Entwurf des damals erst 22 Jahre alten Heinz Ruhls im Auftrag der Deutschen Bundesbahn der bis heute erhaltene Bochumer Durchgangsbahnhof. Dieser legt sich dem Besucher mit einer Gesamtgröße von 147 x 14 Metern und einer Foyerfläche von 480 Quadratmetern dar. Durch die Lage der Gleise beeinflusst, wurde der Bahnhof als offener Durchgangsbahnhof gestaltet, der durch ein geräumiges Foyer zu den Bahnsteigen führt. Die oberen Geschosse des Baus, der ganz prominent seine Breite und nicht seine Tiefe betont, beherbergen ein Hotel und die Verwaltungsräumlichkeiten. Der Bahnhof diente schnell, so wie es auch vorherrschende Intention war, als Renommee der Stadt. Er sollte den Besucher in der modernen, fortschrittlichen und erfolgreichen Stadt Bochum willkommen heißen und ihm den Weg auf offene und freundliche Art weisen. Der Bau selbst war zudem von hohem touristischen Wert, ein beliebtes Motiv für Postkarten und eins der neuen Stadtwahrzeichen.

Bauphase und Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg

Der Vorgängerbau des vorigen Jahrhunderts stand ganze 650 Meter entfernt und wurde während des Krieges ebenso wie fast die gesamte Stadtfläche nahezu vollständig zerstört, So konnte man auf nahezu planem Feld eine neue Stadt bauen. Dies nutzten die Planer und Auftraggeber als Gelegenheit, den unstrukturierten und allzu komplizierten Umsteigeverkehr, der den Bochumern lange Wege durch die Stadt aufzwang, zusammenzulegen. Im Zuge dieser Maßnahmen waren aufwendige Bau- und Schienenarbeiten nötig, so dass zunächst ein provisorischer Übergangsbahnhof geschaffen wurde. Dieser Bau, heute noch erhalten und unter dem Namen Katholikenbahnhof oder Rotunde bekannt, war zwar ausreichend, um den Zustrom der Teilnehmer des Katholikentages im Jahr 1949 gerecht zu werden, eine dauerhafte Lösung sollte dies aber nicht sein. Man hatte vielmehr den Anspruch, einen architektonisch anspruchsvollen Bahnhof zu errichten, der der Stadt zu einem modernen und weltoffenen Flair verhelfen sollte. Entfernt inspiriert wurde der Architekt Ruhl durch die Bauweise des erst kurz vorher entstandenen Bahnhofs Roma Termini in Italien, musste diesen Einfluss aber im Zuge der Planungen noch etwas umarbeiten, so dass der Bochumer Hauptbahnhof zu einem individuelleren Bauwerk wurde und nicht nur zu einer bloßen Kopie. Die italienischen Gestaltungseinflüsse sind allerdings zu erahnen. Seine relativ geringe Höhe wurde gewählt, damit er sich als besonderes Element aus dem Gesamtgefüge der neu entstehenden Bauten in dem umliegenden städtischen Bereich abhebt. Die ihn umgebenden Gebäude, so zum Beispiel das alte, heute nicht mehr existierende Arbeitsamt oder das Verwaltungsgebäude der Stadtwerke Bochum waren, um einem aufeinander abgestimmten Gesamtgestaltungskonzept zu entsprechen, in den ersten Stockwerken relativ identisch in ihrem rhythmisierten Aufbau. Allerdings überragten sie den Bahnhof um mehrere Etagen. Als zentrales Hauptelement dieses städtischen Gebäudegefüges sollte dieser durch eine massive Breite und auffälligere Fassade ins Auge fallen.

Die Gestaltung des Bahnhofs und sein heutiger Zustand

Der Bahnhof, der von 2001 bis 2005 im Ansatz in seinen ursprünglichen Zustand rücksaniert worden ist, steht seit 1994 unter Denkmalschutz. Der Besucher sieht heute die Fassade wieder mit ihrer rhythmisch gegliederten Gestaltungsweise.

Befindet man sich auf dem Bahnhofsplatz vor dem Haupteingang, bekommt man einen Eindruck von der intendierten Transparenz und gleichzeitig von einer strukturierenden Ordnung angesichts des glasdurchsetzten Stahlbetonskeletts und den rhythmisiert angeordneten Fensterachsen der Obergeschosse. Das dynamisch in Schmetterlingsform geschwungene Stahlbetonflügeldach in der Größe von 46,5 x 24 Meter, das den aus dem Foyer vorspringenden Vorbau krönt, unterstützt in seiner wellenförmigen Bewegung die geordnete, statische Wirkung der klar strukturierten Fensterreihen. Die Außenfassade wurde mit Platten aus gemaserten Natursteinen verziert, die auch heute noch in ihrem Originalzustand zu sehen sind. Die farblich eher dunkle und in Erdtönen gehaltene Ausgestaltung beruht auf dem Wunsch, den Bahnhof trotz der damals noch allgegenwärtigen Schmutzpartikel in der Luft für lange Zeit ansehnlich zu erhalten und durch die Tonwahl der Materialverschmutzung besser Herr zu werden. Bei dem Bau fallen der Kontrast und die trotzdem vorhandene Übereinstimmung zum Stadtwerkehaus besonders auf: Ist bei dem Verwaltungsgebäude die Außenwirkung zwar offen, wird es doch erst wirklich dynamisch, wenn man sich in dem eleganten Innenbereich befindet. Der Bahnhof wirkt dagegen bereits von außen betrachtet geschwungen und ist auffälliger in seiner transparenten Aufgebrochenheit. Komplimentiert wurde das extravagante Dach durch die Ausgestaltung der sich auf dem Bahnhofsvorplatz befindlichen Laternen sowie durch die Überdachungen der Bahngleise, die den dynamische Schwung des Dekors aufgriffen. (Abb. 2, 3 und 4) Den Bochumer Stadtfarben entsprechend wurden die Bahngleise dekoriert, das Foyer und der Durchgang zu den Gleisen waren bunter gestaltet und sollten vielleicht die Lebendigkeit des täglichen Durchgangsverkehrs spiegeln.

In den 1970ern und 1980ern erlebte der Bahnhof einige bauliche Veränderungen, bei denen die vormals lichtdurchflutete Offenheit, die den Passanten empfangen sollte, negiert wurde. Im Zuge der letzten Sanierungsarbeiten wurde versucht, dem Ursprungszustand wieder im Ansatz, soweit sich dies auf die heutigen Anforderungen eines Bahnhofs übertragen ließ, näher zu kommen. Viele kleine Anbauten innerhalb und außerhalb der Anlage, die für den Eindruck der Unübersichtlichkeit gesorgt hatten, wurden entfernt, der Verkehr vor dem Haupteingang wurde durch neue Ampelanlagen und eine fußgängerfreundlichere Verkehrsgestaltung neu geregelt.

Damals wie heute empfängt den Reisenden und den Wartenden im Gebäude ein Angebot an Unterhaltungs- und Kaufmöglichkeiten. So integrierte schon der Entwurf ein Bahnhofskino, das heute ebenfalls unter Denkmalschutz steht (Abb. 5). Es ist von der Eingangshalle aus zu erreichen und größtenteils noch im Originalzustand erhalten. Neben diversen Serviceeinrichtungen der Deutschen Bahn und Restaurants gehört auch nach wie vor ein Hotel zu dem Komplex, welches sich östlich der Haupthalle anschließt. Die als mondän überlieferte Ausgestaltung mit Mahagoni- und Marmorelementen aus der Zeit der Eröffnung ist im heutigen Zustand nicht mehr erhalten.

Allerdings kann man als Besucher heute vielleicht wieder etwas von dem Eindruck gewinnen, den Clemens Massenberg sich in den Nachkriegsjahren für die Bochumer Citygestaltung gewünscht hat, auch wenn durch viele später entstandene, den Platz rahmende Gebäude die Offenheit und Übersichtlichkeit, die im Jahr der Bahnhofseinweihung vorgeherrscht hat, verschwunden sind und der Bereich veränderten infrastrukturellen Bedürfnissen angepasst werden musste.

 

Literatur

Hanke, Hans H.: Architektur und Stadtplanung im Wiederaufbau. Bochum 1944 - 1960. Münster 1992.

Hanke, Hans H.: Bochum. Wandel in Architektur und Stadtgestalt. Bochum 1985.

Krampe, Ulrich u.a. (Hg.): Bauen in Bochum. Bochum 1986.

Hauptbahnhof Bochum. Im Internet unter: http://www.ruhr-bauten.de/ auswahl.php?index=18, gesehen am 29.7.2013.